🎶 “Ich glaub es geht schon wieder los … das darf doch wohl nicht waaaaahr sein” 🎶
Kaum sind die Wahllokale geschlossen, können sich die Spitzenpolitiker nicht schnell genug entblöden die ihnen genehme Lesart in das — zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststehende — Wahlergebnis hinein zu interpretieren. Meine ehemalige Deutschlehrerin wäre sicher stolz. Beim Interpretieren von Texten war ihre Lesart, beziehungsweise jene aus dem von ihr benutzten Lehrerbuch die einzige erlaubte. Deshalb heißt es schließlich auch Interpretation — man gelangt immer zu der exakt gleichen Erkenntnis. Ganz wie in Mathe.
Scholz hat nicht ganz unrecht, daß er — trotz Cum-Ex- und Wirecard-Skandal und obwohl als wandelnde Erinnerungslücke antretend — die höchsten Umfragewerte vorzuweisen hatte. Zusammen mit dem aktuellen hauchdünnen Vorsprung 1 könnte ein rational denkender Mensch dies geradezu als einen Auftrag dieses mythischen einen Wählers, von dem alle immerzu faseln, interpretieren. Armin Lachet sieht das natürlich ganz anders und betont seinen Anspruch Kanzler werden zu wollen.
Nur eines wird darüber wie immer vergessen, nämlich folgendes (relevante Teile hervorgehoben); Artikel 38 GG, Satz 1:
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Leider ist für die Mehrheit der Abgeordneten der Aspekt das ganze Volk zu vertreten absolut irrelevant. Dies ist nämlich eigentlich nicht nur Anspruch (im Sinne von “Oh, wir haben eine repräsentative Demokratie und ich vertrete das ganze Volk … hu hu …”), sondern eigentlich auch Verpflichtung. Aber schon das mit der vermeintlichen Ungebundenheit in Sachen Weisungen, ist es dank Fraktionszwang nicht weit her. Zwar gönnt man sich hin und wieder einen Hofnarren, denn wer eh nicht wieder kandidieren möchte hat um Pfründe und Listenplatz nicht zu fürchten. Ganz selten gibt auch mal eine Fraktionsvorsitzende die Abstimmung frei, als sei sie das nicht von Grundgesetzes wegen ohnehin schon, und die Medien überschlagen sich geradezu mit Berichten über diese salomonische Entscheidung der Kanzlerin. Geht’s eigentlich noch? Keiner erwähnte mit nur einer Silbe, daß die Fraktionsvorsitzende und Kanzlerin mal überhaupt nichts freizugeben hatte, weil das Grundgesetz die Entscheidung klipp und klar den Abgeordneten freistellt. Kein Rauschen ging durch den Blätterwald, kein Sturm der Empörung durch die Medien. Wie auch wann immer die Exekutive (Regierung) der Legislative (Gesetzgeber, also Bundestag) kurzfristig Gesetzesvorschläge zur kurzfristigen Abstimmung vorlegt. Hier herrscht noch klare Trennung der staatlichen Gewalten. Wie toll die funktioniert, konnte man insbesondere seit Proklamation der Corona-Pandemie schon mehrfach erleben.
// Oliver
- aktuell 1,8% der Zweitstimmen [↩]