Ach guck, Spiegel-TV “berichtet” unter einem BILD-ähnlich reißerischen Titel über Kleinstparteien: Politik bizarr: Wie Kleinstparteien um Stimmen werben.
Da fragt man sich doch von welchem Demokratieverständnis die Redakteure dieses angeblich ehemaligen Sturmgeschützes der Demokratie besessen sind. Während ich schon mehrfach an den Kopf geworfen kam, ich solle doch eine Partei gründen, wenn mir dies oder jenes nicht passe, werden hier Kleinstparteien lächerlich gemacht. Ja wie denn nun?
Außer mit Attributen wie “bizarr” im Titel findet Berichterstattung über kleinere Parteien praktisch nicht statt. Die Debatte der Kanzlerkandidaten verkam zum Duell, weil man seitens der Medien andere Parteien und deren Kanzlerkandidaten einfach ignoriert. Zu klein seien die für realistische Chancen. Beim hessischen Rundfunk (hr) verstieg man sich gar zu der kreativen Ausrede, daß die fehlende Berichterstattung ja mit repräsentativen Umfragen erklärbar sei. Dort kämen die kleinen Parteien nicht vor, weshalb man auch nicht über diese berichten müsse. Quasi eine umfragetechnische Fünfprozenthürde um sich unliebiger Themen vorab zu entledigen. Ein klassischer Zirkelschluß: die kleinen Parteien sind nicht bekannt, weil nicht über sie berichtet wird, also muß man sie nicht erwähnen, da die Umfragen ja ergeben, daß man sie weitestgehend ohnehin nicht kennt. Demokratieverständnis “à la bonheur”, wie Martin Chulz sagen würde.
Die ARD hat eine zweiteilige mitternächtliche Alibisendung namens “Die kleinen Parteien” aufgelegt in welcher die kleinen Parteien voller Vorurteile von zwei Journalisten unter die Lupe genommen werden. Abgesehen davon, daß der Sendeplatz schon den (fehlenden) Anspruch des Senders im Bezug auf das Thema unterstreicht, scheint man sich vorgenommen zu haben die jeweiligen gezeigten Vertreter der kleinen Parteien möglichst unangenehm in die Mangel zu nehmen. Für die Humanisten soll es ein Interview im Kölner Dom sein, oh Schreck! Denn Humanisten sind doch — Achtung: Vorurteil! — alles Ungläubige, denen es nicht etwa um eine strikte Trennung von Staat und Religion geht, sondern die so ketzerische Ziele verfolgen, daß sie fürchten müssen in einem Gotteshaus vom Zorn des Allmächtigen auf der Stelle niedergestreckt zu werden. Wehe den Feinden des karfreitäglichen Tanzverbots. Glücklicherweise lehnte die Verwaltung des Kölner Doms das Ansinnen ab und rettete somit ohne jeden Zweifel die Leben der drei befragten Ungläubigen. Für die Vertreterin der Tierschutzpartei hätte es ein Interview in einer Massentierhaltungsanlage sein sollen; sie lehnte ab. Man einigte sich dann auf ein Interview auf einem Gnadenhof. Warum man die Rechten nicht gleich von einer dunkelhäutigen Deutschen interviewen ließ, wurde mir allerdings nicht ganz klar. Vermutlich weil es das bereits einmal gab?
Läßt man das Duell der Kanzlerdarstellerkandidaten Revue passieren, so wird klar, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Nicht nur, daß das “Duell” vollständig auf Merkel zugeschnitten war 1, nein wirklich kritische Fragen der Journalistendarsteller gab es keine. Stattdessen Schmusekurs seitens der Journalistendarsteller und von Chulz gegenüber Merkel, als wolle letzterer sich bereits vorab als großkoalitionärer Speichellecker andienen. Außerdem dominierte das Thema Flüchtlinge die ganze Sendung, als ob es keine anderen und drängenderen Probleme gäbe. Die seitens SPD konstatierten 21% Prozent Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern, die nur dann zustandekommen wenn man den laut Statistischem Bundesamt “unbereinigten Wert” benutzt, wurde auch hier nicht investigativ hinterfragt. Denn dazu hätte man zuvor recherchieren müssen, bis hin zur Aufgabe des eigenen journalistischen Tunnelblicks. Aber mit solchem Querulantentum schafft man’s halt auch nicht zum Regierungssprecher. Also seichte Unterhaltung bieten.
// Oliver
- da kann Herr Chulz hunderte Briefe an seine Gegnerin schicken um sie zu weiteren Duellen aufzufordern, die wird das einfach aussitzen, denn der “Sieg” — mit ähnlichen “Mehrheiten” wie zuvor — ist ihr so gut wie sicher [↩]