Sarah Wagenknechts Bundestagsrede kürzlich

… schlug ein.

Während Frau Wagenknecht also dem im Grundgesetz (Artikel 38 GG) verankerten Prinzip, der Abgeordnete sei nur seinem Gewissen verpflichtet genüge tat, im Wortlaut:

Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

… konnten sich diverse Mitglieder der Partei “Die Linke” und insbesondere deren Parteispitze überhaupt nicht schnell genug distanzieren. Das sei keine Parteilinie, das hätte die Fraktionsspitze zu verantworten usw.

Abgesehen davon, daß dies ein faszinierendes Verständnis der Rechte und Pflichten von Bundestagsabgeordneten offenbart, hatte die Rede mittlerweile noch weitere Folgen. So verließ Ulrich Schneider mit (negativer) Bezugnahme auf Wagenknechts Rede die Partei. Diverse “Größen” äußerten sich dann auch dazu, zumeist unterstützend, teils gegen Wagenknecht keilend1. Unser werter Herr Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach entblödete sich dann auch nicht Ulrich Schneider zu empfehlen andere linke Parteien zu erwägen. Im Wortlaut:

Eine konsequente Haltung. Respekt. Für mich war Ulrich Schneider, auch bei gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten, immer ein Sozialexperte mit hoher Integrität. Solche Leute sollten auch andere linke Parteien erwägen.

Prof. Karl Lauterbach am 2022-09-12

Welche linke Partei2 das sein könnte, bleibt wohl Herrn Lauterbachs Geheimnis, denn zumindest im Bundestag sind mir ausschließlich “Mitte-Parteien” und NSDAP-Nachfolgeparteien geläufig. Und “Die Linke” hockt allenfalls noch am linken Rand der Mitte — zumal sie auch in großen Teilen nicht mehr klassisch links ist. Aber klar, wenn alle nach rechts rücken, bleibt der linke Rand des Spektrums natürlich weiterhin linksaußen, auch wenn er sich von klassisch linken Positionen vielleicht längst meilenweit entfernt hat. Vielleicht meinte er ja auch Nischenparteien wie die MLPD? Und fragen will ich nicht, da unser Gesundheitsminister sicher voll im Streß ist. Im Streß restriktive Maßnahmen auszuarbeiten bzw. ausarbeiten zu lassen, die unter Bezugnahme auf Corona im kommenden “Wutwinter” zufällig genau dann in Stellung gebracht werden, wenn die Leute begreifen, daß man sich beim Demonstrieren auch warmhalten kann, wenn die Wohnung schon kalt bleiben muß oder man sich aufgrund Preissteigerung oder Arbeitsplatzverlust nichts mehr leisten kann.

Nach Ulrich Schneider trat dann ein — aus meiner Sicht — noch profilierteres Mitglied aus, nämlich Fabio De Masi. Er ließ sich nicht weiter zu den Gründen ein. Man könnte zwar spekulieren, aber das lasse ich mal. Vielleicht gibt es ja irgendwann doch noch eine Stellungnahme.

Dabei wäre es doch fast sinnvoller wenn Frau Wagenknecht genau wie ihr Mann die Partei verließe, in welcher echte linke Positionen nicht gefragt sind.

Allerdings ist dies leichter gesagt als getan, denn die Chance ohne Rückendeckung einer bereits etablierten Partei in den Bundestag zu kommen ist verschwindend gering. Wir verlören eine wichtige und kritische Stimme. Nicht zuletzt deshalb, weil unsere Parteien sich inzwischen — aus meiner Sicht verfassungswidrig — das Monopol der politischen Willensbildung gesichert haben, obwohl es im Artikel 21 GG gleich eingangs unter (1) heißt:

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Setzt man die Zahl von Parteimitgliedern ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, ergibt sich eine starke Schlagseite der Macht weg vom Souverän hin zu den Parteien. Betrachtet man dann nur die Aktiven in den Parteien, wird es nur umso schlimmer …

// Oliver

PS: übrigens schätze ich sowohl Ulrich Schneider wie auch Fabio De Masi für das was sie bisher geleistet haben (und hoffentlich weiter leisten), insofern ist mir deren Parteibuch/-karte herzlich egal.

  1. Ich bewundere Sarah Wagenknecht seit Jahren, weil sie trotz stetem Gegenwind und unfairen Praktiken, bspw. bei der Sendung “entweder butterweich oder unfair” (oder so ähnlich), ihre Position vertritt und weiter herausarbeitet und sich auch nicht zu doof ist Fehleinschätzungen einzugestehen. []
  2. … in der Mehrzahl kann man davon nun wirklich nicht reden! []
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3 Responses to Sarah Wagenknechts Bundestagsrede kürzlich

  1. orinoco says:

    Nach gut 30 Jahren in denen ich mich intensiv und aktiv mit echter (direkter) Demokratie befasst habe, kann ich schon länger von diesem Land nicht mehr als Demokratie sprechen. Auch wer seinen George Carlin studiert hat, kann eigentlich zu keinem anderen Schluß kommen.
    Gerald Häfner (den ich persönlich als einen der wenigen Politiker schätze) hat übrigens in den Protokollen des parlamentarischen Rates nachgelesen und da steht drin (sinngemäß zitiert) “Wir wollen doch nicht das Monopol des Parlamentarismus”.
    Aber der “Fuchs” Adenauer hat sie alle mit ein paar wohlfeilen, aber realpolitisch substanzlosen Worten im GG (“Wahlen und Abstimmungen”) über den Tisch gezogen so wie schon in seiner eigenen Partei mit dem vordergründig kapitalismuskritischen Ahlener Programm: “Hauptsache et Wort ‘Sozialismus’ is eraus. Und den Rest mache mer sowieso net”
    Und nach der 1. Bundestagswahl bis heute hat die CDU/CSU jede Form von (direkter) Demokratie auf Bundesebene verhindert, ja alle anderen Parteien CDUsiert, dass dort auch nur noch machtgeile Parlament-Arier sitzen, die von demokratischer Mitbestimmung der Bürger oder gar Volkssouveränität nichts (mehr) wissen wollen, besonders die Grünen.

  2. Oliver says:

    Ah, Parlament-Arier hab ich noch nie gehört der war gut!

    Ja, George Carlin hat viel Wahres gesagt, aber leider auf Englisch was vielen hierzulande “nicht zugänglich” ist … und bei der Bildungsmisere kann man’s vielleicht auch nicht erwarten … es geht halt nicht wirklich um mündige Staatsbürger, sondern eher um unmündige Staatsbürgen (und “Verbraucher”) beim Thema Bildung. Und natürlich um den Nachschub an halbwegs ausgebildeten Arbeitskräften.

  3. orinoco says:

    Das Wortspiel “Parlament-Arier” als Bezeichnung für die Politchauvinisten hab ich mir selbst ausgedacht und wurde meines Wissens von niemand anderem vor mir verwendet. Ich verwende es aber schon länger.

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