Was mich in letzter Zeit sehr bestürzte, war die Tatsache, daß in Deutschland eine sehr einseitige – pro-israelische – Stimmung durch die Presse erzeugt wird. Selten hört oder liest man etwas zur Sicht der Palästinenser. Telepolis war hier einmal mehr die löbliche Ausnahme:
Viele Palästinenser lehnen die Entführung des Soldaten mittlerweile ab und sagen, dass die israelische Methode, also Überfall und Tötung des Soldaten, eine bessere gewesen wäre.
Interessanterweise hört und liest man mehr über den entführten israelischen Soldaten als über hunderte palästinensische Frauen und Kinder in israelischen Gefängnissen. Daß die USA bei jedem Versuch einer israel-kritischen Resolution ein Veto einlegt darf nicht verwundern, denn in diesem Land wurden ja auch schon Minderjährige und Behinderte hingerichtet. Die Methoden scheinen sich also zu gleichen. Während sich die “heimliche Allianz” der USA mit Israel für die einfacheren Gemüter durch die “Juden in den wichtigen Ämtern der USA” und andere Verschwörungstheorien rund um’s “Weltjudentum” erklären läßt, scheint die wahre Erklärung etwas verworrener und vor allem stärker religiös motiviert zu sein. Wenn der Erretter (sprich: Jesus) wiederkommt, wird dies laut bestimmten Vorhersagen in Israel passieren, daher muß Israel beschützt werden, denn kein Israel bedeutet auch keine Rückkehr des Messias. Der christliche Fundamentalismus in den USA mit seinen Auswüchsen ala “intelligent design” geht hier also wunderbar Hand in Hand mit den Interessen Israels.
Ich würde mich nicht als Israelkenner bezeichnen und das Thema ist auch viel zu kompliziert um in ein paar Textzeilen abgehandelt zu werden, jedoch war ich schon in Israel. Das war vor knapp 10 Jahren, kurz nachdem auf ein Café in Tel-Aviv/Jaffa ein Einschlag verübt worden war und ein reichliches Jahr nachdem Rabin ermordet worden war. Ursprünglich war dieses Treffen als Schüleraustausch zwischen verschiedenen deutschen Schulen und – auf israelischer Seite – einer jüdischen und einer arabischen Schule in Tel-Aviv geplant. Allerdings erfuhren wir sehr kurz vor unserer Abreise, daß die jüdische Schule abgesprungen war. Da wir nun aber schon fast im Flugzeug gen Tel-Aviv waren, spielte das auch keine große Rolle mehr.
In “Yaffo” (es handelt sich um den einen Teil der zusammengewachsenen Städte Tel-Aviv und Jaffa) angekommen, wurden wir sehr herzlich von unseren Gastgebern begrüßt. Erster Teil des Besuches war eine Busrundreise durch Israel. Wenn man sich vor Augen führt, daß Israel flächenmäßig etwa Hessen entsprechen soll, so ist dies auch bei einer Gesamtdauer unseres Besuchs von 10 Tagen kein Unding gewesen. Neben den typischen Pilgerplätzen (der “drei großen Religionen”) wie Al-Aqsa Moschee, Felsendom, Klagemauer, Via Dolorosa usw., besuchten wir auch den See Genezareth und dort speziell den Berg der Seligpreisungen, Nazareth, fuhren über den Jordan und waren auf der Felsenfestung Massada, in einem nahegelegenen wunderschönen Naturschutzgebiet und am Toten Meer. Auch verbrachten wir eine Nacht in einem Kibbuz und lernten ein paar Drusen kennen. Bei unserer Rückkehr nach Tel-Aviv hatte mein eigentlicher Gastgeber hatte zu arbeiten, so daß ich gemeinsam mit einem Klassenkollegen bei Tarek, einem anderen arabischen Schüler – bzw. im Haus seiner Familie – untergebracht wurde. Abgesehen von der Tatsache, daß ich schon fast direkt nach unserer Ankunft halb besoffen war, weil unsere Gastgeber uns eine Freude machen wollten, indem sie uns in großen Trinkgläsern selbstgebrannten Whisky gaben (russ.: “сто грамм” :mrgreen:), ging es mir ganz gut. Seitdem ist meine Weltsicht etwas erschüttert, weil doch immer gesagt wird, daß den Moslems der Alkoholgenuß versagt sei :-?. Aber vielleicht war der edle Spender des Getränks ja doch Christ, ‘s steht ja schließlich nicht auf der Stirn geschrieben. An diesem Abend erlebte ich eine arabische Familie, und diskutierte mit ihnen über alles was einen so an Israel interessieren kann. Dabei rauchten wir Wasserpfeife :mrgreen:. Dieser Abend wird mir unvergeßlich bleiben. Da die Familienmitglieder Englisch sprachen, konnten wir uns wunderbar verständigen. Der Vater der Familie meinte dann irgendwann im Gespräch, daß wir während unserer Rundreise ja nichts arabisches – mal von der Al-Aqsa Moschee abgesehen – zu sehen bekommen hätten. Und um ehrlich zu sein, konnte ich ihm da nur zustimmen. Das Programm war bis dahin sehr “flach” gewesen. Da nun der kommende Tag als “frei” geplant war, schlug ich vor, daß uns unsere Gastgeber doch die besetzten Gebiete einmal zeigen mögen. Diese Idee wurde dankbar aufgegriffen und wir – damals noch nicht volljährig – freuten uns, daß die Lehrerinnen, welche als Betreuer mitgekommen waren, davon nichts wissen würden. Wir einigten uns auf Qalqiliya in der “West-Bank” als Ziel.
Denkste. Nächster Morgen, die Lehrerinnen tauchten auf :shock:, ich dachte schon das Ding wäre gelaufen. Aber wie sagt man immer, nicht dachten sondern denken ;). Die Lehrerinnen waren begeistert von unserem Plan und sprangen quasi auf fahrenden den Zug auf. Dank eines Frühstücks um 12 und anderen “Pannen” lernten wir abermals die arabische Gelassenheit (unsereins nannte das damals wohl eher “Arschruhe” :mrgreen:) kennen. Irgendwann zwischen 13 und 14 Uhr ging es dann los. So war der Tag doch noch gerettet und es ging vorbei an Apfelsinenplantagen, bis wir an ein riesiges umzäuntes Gebiet kamen. Auf dem Weg in die Stadt umfuhren wir einen großen Teil dieses Zauns bis zu einem israelischen Militärposten, wo wir kontrolliert wurden. Kurz darauf waren wir in der Stadt. Die Stadt sah wie eine Mischung aus dem was man sich als orientalischen Basar vorstellt, einem Elendsviertel und einer Westernstadt (wegen des Staubs) aus. Dort lernte ich dann das Elend der Palästinenser mit eigenen Augen kennen. Eigentlich unbeschreiblich, wenn man sich vorstellt, wie wohlhabend es in Israel ansonsten aussieht. Erwähnt werden sollte noch, daß es israelische Araber gibt, wie beispielsweise unsere Gastgeber und Palästinenser, die offenbar nicht die gleichen Bürgerrechte zugestanden bekommen (schärfere Kontrollen zu den besetzten Gebieten usw.). Nominell handelt es sich in beiden Fällen um Araber und zumeist Moslems, auch wenn es beispielsweise christliche Araber gibt.
Jedenfalls verbrachten wir den halben Tag in Qalqiliya und fuhren dann zurück nach Jaffa …
Die Eindrücke von damals, rücken jedenfalls immer wieder die Nachrichten gerade, die uns die Presse so eintrichtert. Da ich jegliche Form der Gewalt verabscheue, kann ich natürlich weder palästinensische Attentate, noch israelische Militärangriffe gutheißen, jedoch gibt es in der deutschen Presse eine ausgeprägte Israelfreundlichkeit, die mit dem israelischen Vorgehen keinesfalls immer in Einklang zu bringen ist. Insbesondere wenn man anderen Ländern bestimmte Menschenrechtsverletzungen vorwirft, bei Israel aber auf dem gleichen Auge blind ist. Jetzt wäre natürlich noch die Frage zu behandeln, warum das so ist – jedoch werde ich mich auf dieses Glatteis nicht wagen; nicht in einer Zeit, in der “political correctness” wichtiger ist als das Aussprechen der Wahrheit.
Die Aussage des oben schon einmal zitierten Telepolis-Artikels jedenfalls kann nicht dazu taugen die Israelis von ihrer moralischen Verantwortung freizusprechen:
388 minderjährige Palästinenser sitzen derzeit in israelischer Haft, die meisten davon ohne Anklage, so die Menschenrechtsorganisation Defence for Children International.
Wieder fällt einem der Vergleich mit den USA ein, die Häftlinge in Guantanamo – auch ohne Anklage, aber dort zumindest keine Minderjährigen. Wie lange wird die deutsche, sogenannte “unabhängige”, Presse diese Seite des Konflikts noch verschweigen? Wann werde ich zum Beispiel in meiner Lokalzeitung mal etwas über das Elend der Palästinenser und deren Sichtweise lesen, nicht nur die Sicht der Israelis? …
// Oliver